Eine Abschiedsrede für eine schlechte Gewohnheit, die noch nicht totzukriegen ist.
Von Susan Čonka.
Kürzlich habe ich es wieder am eigenen Leibe erfahren: An einem Meeting mit gut zwei Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmern startete der Moderator mit einer «kurzen» Vorstellungsrunde. Nachdem jeder einzeln aufgestanden war und in unterschiedlichem Detaillierungsgrad Name, Funktion sowie Erfahrungen genannt hatte, waren kurze 30 Minuten um.
Die Wirkung dieser Runde auf mich persönlich: Von etwa zehn mir bis dato unbekannten Personen blieben mir 2 Namen im Gedächtnis. Bezüglich der restlichen mir unbekannten Gesichter musste ich mir eingestehen, dass die Aufnahmekapazität meines Hirns begrenzt ist. Bei etwa 3 Personen, die ich zwar kannte, aber lange nicht gesehen hatte, blieb mir der unangenehme Moment erspart, beim Wiedersehen allzu penetrant auf das Namensschild zu starren.
Die zuverlässigen Redeführer hatten sich geoutet, die durch Medien auf Zwei-Minuten-Aufmerksamkeitsspanne Trainierten zückten unauffällig ihre Smartphones oder wandten sich ihrem Laptop zu und die Leitung des Meetings war für den Rest der Zeit damit beschäftigt, den aus den Fugen geratenen Zeitplan irgendwie wieder einzuholen.
Warum um alles in der Welt macht man heutzutage Vorstellungsrunden, wo doch längst bekannt ist, dass das menschliche Hirn in Standby schaltet, wenn wir viele Informationen listenförmig anhören müssen, ohne in Interaktion oder Bewegung zu gehen, ohne unterschiedliche Sinne anzusprechen und ohne die Möglichkeit, das Gehörte mit eigenen Erfahrungen zu verknüpfen? So etwas langweilt unser Hirn! Warum gibt es dennoch so häufig solche Vorstellungsrunden? Weil wir das gewohnt sind, weil man das immer schon so gemacht hat, weil wir nichts anderes kennen. Und weil wir uns nicht fragen, wie sich solche Runden auf die weitere Zusammenarbeit auswirken.
In einer Weiterbildung, die ich selbst kürzlich besuchte, widmeten wir uns genau dieser Frage:
Was machen «klassische» Vorstellungsrunden mit den Meetingteilnehmern und wie wirken sie sich auf die Zusammenarbeit und die Qualität des Meetings aus?
- Personen, die nicht gerne vor vielen Menschen sprechen, müssen sich in einer Vorstellungsrunde exponieren. Das versetzt sie in einen unangenehmen Zustand, sie fühlen sich nicht wohl und werden sich danach entsprechend noch mehr zurückziehen.
- Personen, die gerne reden und viel Raum einnehmen, bekommen eine Bühne dafür. Sie werden auch im weiteren Verlauf grossen Einfluss auf das Meeting, die Zusammenarbeit und die Ergebnisse nehmen.
- Redezeiten sind von Anfang an ungleich verteilt. Das etabliert sich damit automatisch für die weitere Zusammenarbeit.
- Das Zuhören wird von Anfang an erschwert. Da man sich die Namen und weiteren Informationen ohnehin nur lückenhaft merken kann und auch nicht abgefragt wird, was ich Gedächtnis hängen geblieben ist, schalten wir automatisch auf «Durchzug» und werden nicht zu aktivem Zuhören animiert.
- Vorstellungsrunden legen einen grossen Fokus auf Status: Hierarchien werden betont, «Reviere» abgesteckt, unterschiedliche Augenhöhen werden zementiert.
Alternativen für «klassische» Vorstellungsrunden
Ein Beispiel, wie ein guter Einstieg in ein Meeting ablaufen kann: Überlege Dir Fragen für den Austausch, zum Beispiel: «Was erwartest Du heute von diesem Meeting? Was sind Deine Ziele, was möchtest Du am Ende für Dich daraus mitnehmen?» Diese Frage steht für alle gut sichtbar am Flipchart oder an der Leinwand und die Teilnehmer finden sich als Paare zusammen. Jeder hat nun 2 Minuten lang Zeit, dem Gegenüber seine Gedanken zur Frage zu erzählen bzw. 2 Minuten lang zuzuhören. Nach 4 Minuten wird der Austausch gestoppt und jeder sucht sich ein neues Gegenüber, die Paare tauschen sich wieder 4 Minuten aus. Das gleiche Spiel folgt dann noch ein drittes Mal, so dass sich jede Person mit 3 anderen Meetingteilnehmern ausgetauscht hat.
Wie wirkt sich ein solcher Einstieg auf das Meeting aus?
- Du bringst alle Beteiligten von Anfang an in Bewegung und in den Austausch zu zweit oder zu dritt. Das schafft Verbindlichkeit, persönlichen Bezug und Vertrauen.
- Die Regeln für das Meeting werden mit diesem Einstieg klar definiert: Jeder kann jeden ansprechen, man kann im Raum aufstehen und sich bewegen.
- Der Fokus liegt auf der Sache bzw. auf dem Thema, nicht auf Status, Hierarchie oder sonstigen Ritualen und Gewohnheiten.
- Jeder muss sich äussern, aber niemand muss sich vor einer grossen Runde exponieren.
- Redezeiten sind klar strukturiert und begrenzt, niemand kann sich mehr Raum nehmen als andere.
- Zuhören wird «verordnet», Beziehungen werden gestärkt: Wenn man 2 Minuten lang dem Gegenüber zuhört, muss man sich in die Augen schauen und konzentriert sich auf den Menschen und das, was er erzählt. Das schafft Empathie und Verständnis.
- Klarheit über die eigenen Gedanken, Wünsche und Erwartungen: Wenn man drei Mal erzählt, was man erwartet, dann werden die eigenen Gedankengänge und Worte geschärft und man wird sich darüber klar, was man selbst möchte.
Und um sich mit Namen ansprechen zu können, genügt auch ein Namensschild, auf dem auch die Abteilung oder das Unternehmen vermerkt sein kann, wenn das denn wichtig ist für den Erfolg des Meetings.
Und nun: Ruhe in Frieden, Vorstellungsrunde! Die Hoffnung stirbt zuletzt.