Marcel Hinder, Experte für Design for Six Sigma und Quality Engineering, zeigte uns im QQ-Impuls, wie man in 6 Schritten zu einem erfolgreichen Produkt bzw. einer erfolgreichen Dienstleistung kommt. Er stellte das «House of Quality» vor: Eine Methode, die sicherstellt, dass relevante Kundenanforderungen in die Designkonzepte mit einfliessen. Hier erfährst Du, wie das geht.
Welche Aspekte werden während einer Produktentwicklung oft vernachlässigt?
Marcel hat hierzu eine Analyse gemacht, indem er beim ChatGPT (eine auf KI basierte Internet-Suchmaschine) eine Anfrage machte und die Feedbacks von SAQ-QUALICON Teilnehmenden, die er als Dozent erhalten hat, auswertete. Hinzu kommt natürlich auch eine zünftige Portion aus seinem umfassenden Erfahrungsschatz. Nachfolgend das Ergebnis der Analyse:
Kundenfokus
- Das Kundensegment ist unklar bzw. die Kunden zu wenig gut bekannt
- Die Kunden werden gar nicht oder zu spät in die Produktentwicklung involviert
- Die relevanten Kundenbedürfnisse werden gar nicht oder ungenügend berücksichtigt
Wissen über die Konkurrenz
- Die Stärken und Schwächen der Konkurrenz sind unklar
- Das Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Proposition = USP) ist nicht klar bzw. das Wissen fehlt, wie man sich von der Konkurrenz abheben kann
Produktanforderungen/technische Machbarkeit
- Die Produktanforderungen sind unspezifisch und/oder widersprechen sich
- Die Relevanz der jeweiligen Produktanforderungen in Bezug auf den Kundennutzen ist unklar
- Die technische Machbarkeit zur Erfüllung der Produktanforderungen wird zu spät oder gar nicht berücksichtigt
Wirtschaftlichkeit
Der Fokus liegt auf der technischen Machbarkeit, wobei die Wirtschaftlichkeit des Produkts zu wenig berücksichtigt wird. Das heisst, es wird zu spät hinterfragt, ob sich die Entwicklungsinvestitionen lohnen und ob das Produkt gewinnbringend angeboten werden kann.
Beispiele von gescheiterten Produktentwicklungen
Google Glass
Google Glass war eine Augmented-Reality-Brille (AR-Brille), die 2013 auf den Markt kam und schnell als Innovationsträger und als eine zukunftsweisende Technologie angepriesen wurde. Das Produkt scheiterte jedoch, weil es zu teuer, zu unhandlich und zu invasiv für den Benutzer war.
Microsoft Zune
Microsoft Zune war ein MP3-Player, der als Konkurrenzprodukt zum iPod von Apple entwickelt wurde. Das Produkt scheiterte aufgrund der schlechten Benutzerführung, der geringen Speicherkapazität und der mangelnden Markenbekanntheit von Microsoft als Audiogerät-Anbieter im Vergleich zu Apple.
Coca-Cola Blak
Coca-Cola Blak war ein Versuch von Coca-Cola, ein koffeinhaltiges Getränk mit Kaffee-Aroma auf den Markt zu bringen. Das Produkt scheiterte, da der Geschmack von den Konsumenten nicht getroffen wurde und es grundsätzlich an Interesse mangelte.
Was haben diese Produkte alle gemeinsam? Sie erfüllen die relevanten Kundenanforderungen nicht!
Die «10er Fehlerkostenregel»
Die «10er Fehlerkostenregel» besagt, dass es zehn Mal teurer wird, einen Fehler in späteren Produktentstehungsphasen zu korrigieren als in frühen Phasen.
Das bedeutet, dass es viel effektiver ist, ausreichend Zeit und Ressourcen in die Produktplanung und -entwicklung zu investieren, als die Kosten für eine spätere Korrektur bzw. Fehlerbehebung zu tragen.
Abgesehen von den Kosten riskiert man zudem einen allfälligen Reputationsschaden und die mit der Korrektur verbundene Zeitverzögerung.
Bei der Produktentwicklung gilt: Planung ist die halbe Miete!
«Quality Function Deployment» oder «House of Quality»
In 6 Schritten zu einem erfolgreichen Produkt bzw. einer erfolgreichen Dienstleistung:
Wie geht man nun vor, um es besser zu machen? Marcel hat uns hierfür die «House of Quality»-Methode vorgestellt: In 6 Schritten sammelt man alle relevanten Informationen und fasst diese in einer Übersicht zusammen als Basis für eine erfolgreiche Produktentwicklung – immer mit Blick auf die Kundenanforderungen:
- Schritt 1: Kundenanforderungen
- Schritt 2: Konkurrenzanalyse
- Schritt 3: Technische Produktanforderungen
- Schritt 4: Einfluss der Produktanforderungen auf die jeweiligen Kundenanforderungen und Relevanz der Produktanforderungen
- Schritt 5: Widersprüche bei den Produktanforderungen
- Schritt 6: Technische Machbarkeit/Schwierigkeit
Schritt 1
Kundenanforderungen
Vor der Erhebung der Kundenanforderungen klärt man mit einer «Stakeholder Analyse» ab, wer neben den «klassischen Kunden» zu den relevanten Interessensgruppen für das zu entwickelnde Produkt gehört – intern wie extern. Zudem müssen spezielle Anforderungen, die sogenannten «Voice of Business» (VoB), berücksichtigt werden, beispielsweise Gesetze und externe wie auch interne Vorgaben, die zwingend eingehalten werden müssen.
Marcel wies explizit darauf hin, dass in der Praxis oftmals fehlende Kenntnisse zur VoB zu Misserfolgen führen. Die VoB müssen bei jedem Entwicklungsprojekt bekannt sein.
Nachdem alle Interessensgruppen aufgelistet sind, werden diese in einem Koordinatensystem abgebildet: die X-Achse steht dabei für den Grad der Zustimmung zur Neuentwicklung, die Y-Achse für den Grad ihres Einflusses auf die Neuentwicklung. Die Interessensgruppen mit viel Einfluss sind für die weiteren Schritte relevant. Wichtig für den weiteren Erfolg ist: Diejenigen mit viel Einfluss, die der Neuentwicklung ablehnend gegenüberstehen, müssen genauso eingebunden werden wie diejenigen, die der Neuentwicklung zustimmen.
Als Nächstes werden alle Anforderungen, die die relevanten Interessengruppen an das Produkt haben, gesammelt. Hier kommen die üblichen Techniken zum Zuge, wie zum Beispiel Fragebögen, Interviews oder Fokusgruppen.
Die gesammelten Anforderungen werden mit Hilfe eines Affinitätsdiagramms verdichtet und zu wenigen übergeordneten Anforderungen gruppiert.
Diese übergeordneten Anforderungen werden nun in das «House of Quality übertragen» und danach gewichtet, wie relevant sie für die Kunden sind. Hierfür wird eine 10er Skala verwendet: 1 bedeutet geringe Wichtigkeit, 10 bedeutet maximale Wichtigkeit für den Kunden. Die Gewichtung aus Kundensicht wird vor jeder Anforderung in das «House of Quality» eingetragen.
Marcel zeigte, dass aus seiner Erfahrung in vielen Projekten ähnliche Anforderungen eine Rolle spielen: Häufig geht es darum, was ein Produkt leisten kann, wie sicher es ist, was es kostet und wie langlebig es ist. In der letzten Zeit wird Nachhaltigkeit immer wichtiger. Auch Design und Ästhetik sind für die Kunden sehr relevant.
Nach der Auseinandersetzung mit den Kundenanforderungen nimmt man die Konkurrenz unter die Lupe.
Schritt 2
Konkurrenzanalyse
Mit dieser Analyse visualisiert man, wie gut die Kundenanforderungen von der Konkurrenz erfüllt werden.
Dabei wird das Potenzial für das Entwicklungsprojekt sichtbar: Wenn die Konkurrenzprodukte alle Kundenanforderungen bereits vollumfänglich erfüllen, ist es fraglich, ob man in einem solchen Markt bestehen kann. Zeigt die Analyse – wie hier im Beispiel auf der Folie –, dass die Konkurrenz die relevanten Kundenanforderungen nicht besonders gut erfüllt, dann stehen die Chancen für ein neues Produkt gut. Mit solchen Lücken der Konkurrenz kann man sich abheben, und schon ist der USP gefunden.
Schritt 3
Technische Produktanforderungen
Eine gute Produktentwicklung benötigt klare, spezifische Produktanforderungen: Alle Anforderungen müssen messbar sein.
Die genaue Spezifikation muss sorgfältig gemacht werden und ist ein absolutes Muss, um in der Entwicklung viel Zeit, Geld sowie Missverständnisse zu vermeiden. Hier ist auch technisches Fachwissen gefragt: Wie können Kundenanforderungen wie «es soll stabil, leise, günstig usw. sein» in spezifische Produktanforderungen übersetzt werden? Wie kann man messen, ob das Auto «leise» genug ist, damit man bei 160 km/h auf der Autobahn ungestört Mozart hören kann? Werte für Lautstärkepegel, Festigkeit, konkrete Maximalpreise in Franken werden in die Spalten für die Produktanforderungen eingetragen.
Marcels Tipp: Frage Dich immer: «Sind meine Anforderungen spezifisch?»
Schritt 4
Einfluss der Produktanforderungen auf die jeweiligen Kundenanforderungen und Relevanz der Produktanforderungen
Um die «Hitliste der Produktanforderungen» zu erhalten, bewegen wir uns in Fundament des «House of Quality». Der Wert des Einflusses der jeweiligen Produktanforderung wird mit der Gewichtung der jeweiligen Kundenanforderung multipliziert. In der Zeile «Total (absolut)» werden alle Werte einer Spalte addiert. Dort sieht man dann, welches Produkt die höchste Punktzahl, also Platz 1 auf der Hitliste der Produktanforderungen, erreicht hat. Wer es lieber in Prozent hat, trägt die prozentuale Verteilung eine Zeile weiter unten ein.
Beispiel Produktanforderung 1: 9*10 + 3*7=111
So sieht man im «House of Quality» auf einen Blick, welche Produktanforderungen welche Relevanz für die Erfüllung der Kundenanforderungen haben.
Schritt 5
Entdecken von Widersprüchen unter den Produktanforderungen
Nun sind wir beim Dach angelangt: Hier wird festgelegt, wie sich die unterschiedlichen Produktanforderungen gegenseitig beeinflussen, um Widersprüche oder Konflikte aufzudecken.
Allfällige Widersprüche oder Konflikte sind ein grosses Risiko und müssen unbedingt vor der Produktentwicklung gelöst werden.
Schritt 6
Technische Machbarkeit/Schwierigkeit
Am Schluss haben wir noch die technische Machbarkeit. Kann man das Produkt so herstellen? Wenn ja, wie aufwändig bzw. teuer ist das? Welche Lieferanten können was liefern? Wie sieht es mit den Lieferfristen aus?
Um ein böses Erwachen beim 6. Schritt zu verhindern, sollte man die Lieferanten bereits bei der Planung miteinbeziehen.
Was zeigt und das komplette «House of Quality»?
- Relevante Kundenanforderungen und deren Gewichtung aus Kundensicht
- Wie gut die Konkurrenz die relevanten Kundenanforderungen erfüllt
- Spezifisch messbare Produktanforderungen zur Erfüllung der Kundenanforderungen
- Relevanz der jeweiligen Produktanforderung in Bezug auf die Erfüllung der Kundenanforderung
- Widersprüche oder Konflikte bei den Produktanforderungen, die bereinigt werden müssen
- Technische Machbarkeitseinschätzung der relevanten Produktanforderungen
Marcel weiss aus Erfahrung, dass ein komplettes «House of Quality» zu erstellen zwar zeitaufwändig ist, sich aber x-fach auszahlt.
Fazit
In der Produktentwicklung gilt: Planung ist die halbe Miete. Um allfällige Stolpersteine in der Produktentwicklung frühzeitig zu erkennen, musst Du wissen, welche Interessensgruppen wichtig sind, Du musst die internen wie auch externen Rahmenbedingungen kennen, Dir den Stärken und Schwächen der Konkurrenz bewusst sein und – das ist zentral – die relevanten Kundenanforderungen kennen, um diese nachfolgend in spezifische Produktanforderungen zu übersetzen, die technisch machbar sein sollten. Wichtig ist, dass man diese Methode nicht allein im stillen Kämmerlein macht, sondern dass das «House of Quality» im Team erstellt wird. Allein kann man unmöglich alle Fragen beantworten und alle nötigen Daten zusammentragen. Suche Dir also die relevanten Stakeholder, wenn Du mit dieser Methode arbeiten möchtest.
Vielleicht stellst Du Dir jetzt auch die Frage: Was ist, wenn die Kunden ihre Anforderungen gar nicht kennen, weil Deine Produktidee völlig neuartig ist? In diesem Fall kannst Du mit agilen Methoden wie SCRUM arbeiten und in kurzen Zyklen die Kunden immer wieder einbeziehen, um Prototypen vorzustellen, Tests durchzuführen und das Feed-back der Kunden regelmässig im Entwicklungsprozess zu berücksichtigen.
Wenn Du die PowerPoint-Präsentation downloaden möchtest, dann klicke hier auf diesen Link. Weitere QQ-Impulse findest Du jeweils auf unserer Webseite bei den Events.
Haben wir Dich neugierig gemacht? Möchtest Du noch mehr wissen? Dann haben wir nachfolgend ein paar ausgesuchte Weiterbildungen für Dich: