07.10.2021

Medizinprodukte herausgeputzt – Sauberkeit ist nicht gleich Sauberkeit


Nachlese QQ-Impuls

Event QQ-Impuls: Sauberkeitskonzept bei Medizinprodukten

Rein­heit nach EN ISO 19227 ist ein zen­tra­les The­ma bei der Her­stel­lung von Me­di­zin­pro­duk­ten. Die Norm trägt zwar den Ti­tel «Rein­heit von or­tho­pä­di­schen Im­plan­ta­ten», wird aber für Me­di­zin­pro­duk­te al­ler Klas­sen als Ba­sis ver­wen­det. Was ist zu be­ach­ten, wenn Du ein Sau­ber­keits­kon­zept er­stellst? Lu­cio D’Am­bro­sio gab am QQ-Im­puls ei­nen lehr­rei­chen Über­blick.

Über ei­ne hal­be Mil­li­on Me­di­zin­pro­duk­te sol­len sich laut Bun­des­ver­band Me­di­zin­tech­no­lo­gie (BV-Med) der­zeit auf dem eu­ro­päi­schen Markt be­fin­den: von Kon­takt­lin­sen und Pfla­stern über Sprit­zen und chir­ur­gi­sche In­stru­men­te bis hin zu Im­plan­ta­ten und Herz­schritt­ma­chern. Für ei­nen si­che­ren Ein­satz müs­sen die Her­stel­ler nach­wei­sen, dass sie die Ri­si­ken im Her­stel­lungs­pro­zess ken­nen und im Griff ha­ben, da­mit kei­ne Ge­fahr für den Pa­ti­en­ten be­steht. Die Sau­ber­keit von Me­di­zin­pro­duk­ten und de­ren Ver­packun­gen ist da­bei zen­tral.

Wie­so ist Sau­ber­keit so wich­tig für Me­di­zin­pro­duk­te?

Seit den 1990er-Jah­ren hat­ten sich in Eu­ro­pa die Vor­schrif­ten für Sau­ber­keit von Me­di­zin­pro­duk­ten und In-vi­tro-Dia­gno­sti­ka we­nig ge­än­dert. Man setz­te auf die Ei­gen­ver­ant­wor­tung der Her­stel­ler. Doch ei­ni­ge kri­ti­sche Vor­fäl­le er­höh­ten den Druck der Öf­fent­lich­keit auf die Po­li­tik, den Me­di­zin­pro­duk­te­be­reich stren­ger zu re­gu­lie­ren.


Um die Pa­ti­en­ten bes­ser zu schüt­zen, müs­sen für Me­di­zin­pro­duk­te und de­ren Ver­packun­gen nun Sau­ber­keits­kon­zep­te eta­bliert wer­den.

Sauberkeit ist nicht gleich Sauberkeit

Ei­ne sau­be­re Kü­che riecht frisch nach Zi­trus und ein sau­be­res Au­to glänzt schön in der Son­ne. Aber sau­ber im Sin­ne der An­for­de­run­gen in der Me­di­zin­tech­nik ist das noch lan­ge nicht. An ei­nem ste­ri­li­sier­ten Ge­gen­stand kön­nen zum Bei­spiel Öl-Rück­stän­de vor­han­den sein, wel­che bei der Ste­ri­li­sa­ti­on nicht ent­fernt wur­den. Stan­dards für Sau­ber­keit in der Me­di­zin­tech­nik wer­den in der Norm ISO 19227 de­fi­niert.

Grund­sätz­lich gilt es, Sau­ber­keit und Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät zu un­ter­schei­den. Bei der Sau­ber­keit wird die Ver­schmut­zung der Ober­flä­che ge­nau­er be­trach­tet. Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät be­deu­tet, dass das Ma­te­ri­al ei­nes Pro­dukts, zum Bei­spiel ei­nes Im­plan­ta­tes, kei­ne ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf den Stoff­wech­sel des mensch­li­chen Kör­pers hat. Dar­um muss be­reits im Ent­wick­lungs- und im Pro­duk­ti­ons­pro­zess die Sau­ber­keit ein­be­zo­gen wer­den. Je bes­ser die­se ist, de­sto ein­fa­cher wird es in den fol­gen­den Schrit­ten. Und man ver­hin­dert da­durch un­nö­ti­ge Ko­sten und al­len­falls Image­schä­den, die durch Rück­ruf­ak­tio­nen ent­ste­hen.

Ge­fahr durch Her­stel­lungs­rück­stän­de

Bei der Her­stel­lung der Pro­duk­te wer­den ver­schie­de­ne Fer­ti­gungs­ver­fah­ren ein­ge­setzt. Bei je­dem die­ser Ver­fah­ren ver­blei­ben auf den Ober­flä­chen par­ti­ku­lä­re und/oder fil­misch-che­mi­sche Rück­stän­de, wie zum Bei­spiel Trenn­mit­tel, Si­li­ko­ne, Spä­ne, Staub, Ab­rieb, Strahl­mit­tel, Rei­ni­gungs­mit­tel, Kleb­stof­fe, Tal­kum von den Hand­schu­hen, Ab­trieb vom Ver­packungs­ma­te­ri­al oder Kei­me. Die­se Kon­ta­mi­na­tio­nen stel­len je nach Ri­si­ko­klas­se, in die ein Me­di­zin­pro­dukt ein­ge­stuft ist, ein un­ter­schied­lich gros­ses Schä­di­gungs­po­ten­zi­al für Pa­ti­en­ten dar. Das heisst, um die Sau­ber­keit der Me­di­zin­pro­duk­te zu ge­währ­lei­sten, ist die Rei­ni­gung ein Pro­zess ent­lang der ge­sam­ten Fer­ti­gungs­ket­te.

Sauber von A bis Z mit dem Sauberkeitskonzept

Bei der Vor­be­rei­tung für ein Sau­ber­keits­kon­zept ist zu be­rück­sich­ti­gen, aus wel­chem Ma­te­ri­al das Pro­dukt ge­fer­tigt wird und wel­che po­ten­zi­el­len Ver­schmut­zun­gen im Pro­duk­ti­ons­pro­zess wie auch in den wei­te­ren Pro­zes­sen vor­kom­men kön­nen.


Für die Test­stra­te­gie ist die Pro­dukt­an­wen­dung aus­schlag­ge­bend, wie sau­ber das Pro­dukt sein muss und wie ge­nau ge­te­stet wer­den muss. Hat das Pro­dukt di­rek­ten Pa­ti­en­ten­kon­takt, kommt es nur kurz mit dem Ge­we­be des Pa­ti­en­ten in Kon­takt oder ist es gar ein blei­ben­des Im­plan­tat? Die­se Fra­gen sind im Vor­feld un­be­dingt ab­zu­klä­ren.

Wenn Ma­te­ri­al und Ein­satz des Pro­duk­tes ge­klärt sind, wird de­fi­niert, wann und wie oft die Sau­ber­keit ge­te­stet wird. Ei­ne End­rei­ni­gung reicht in den mei­sten Fäl­len nicht aus, da am Schluss nicht mit für den Pa­ti­en­ten schäd­li­chen Stof­fen ge­rei­nigt wer­den darf, aber zu we­nig ag­gres­si­ve Mit­tel ge­wis­se Ver­schmut­zun­gen nicht ent­fer­nen kön­nen. Dar­um müs­sen wäh­rend des Pro­duk­ti­ons­pro­zes­ses sinn­vol­le Zwi­schen- oder In-Pro­zess-Rei­ni­gun­gen ein­ge­plant wer­den, bei de­nen Che­mie mit Che­mie ge­rei­nigt wird. Bei der End­rei­ni­gung hin­ge­gen wird in der Re­gel mit Was­ser ge­rei­nigt.

Um fest­zu­le­gen, wel­che Ver­schmut­zung wann wie am be­sten ent­fernt wer­den kann, oh­ne un­nö­tig vie­le Rei­ni­gungs­durch­läu­fe ma­chen zu müs­sen, emp­fiehlt es sich, al­le ein­ge­setz­ten Stof­fe ri­si­ko­ba­siert un­ter die Lu­pe zu neh­men. Da­bei geht es ei­ner­seits dar­um, wie ein­fach die­se zu rei­ni­gen sind und an­de­rer­seits um die Ver­mi­schun­gen un­ter­schied­li­cher Be­triebs- und Hilfs­stof­fe, die zu Pro­ble­men bei der Rei­ni­gung füh­ren kann. Idea­ler­wei­se wird ver­sucht, kri­ti­sche Stof­fe durch ei­ne Pro­zess­op­ti­mie­rung aus der Fer­ti­gung zu eli­mi­nie­ren so­wie die Zahl und Men­ge der ein­ge­setz­ten Be­triebs- und Hilfs­stof­fe auf ein Mi­ni­mum zu be­gren­zen. Hier­für muss ei­ne Ein­tei­lung in Ver­schmut­zungs­ka­te­go­ri­en ge­macht wer­den, um zu wis­sen, wel­che po­ten­zi­el­len Ver­schmut­zun­gen da sind und in wel­cher Rei­hen­fol­ge die­se zu be­sei­ti­gen sind. Die rich­ti­ge Ka­te­go­ri­sie­rung ist die not­wen­di­ge Ba­sis, um die Rein­heit zu ge­währ­lei­sten: Für je­de Ver­schmut­zung gibt es ein pas­sen­des Lö­sungs­mit­tel.

Die ISO-Norm 19227 ist aus dem Be­reich der Im­plan­ta­te, hat sich aber in der Pra­xis als Ba­sis für al­le wei­te­ren Rei­ni­gun­gen eta­bliert.


Ne­ben sicht­ba­ren Ver­un­rei­ni­gun­gen gilt es, Kon­ta­mi­na­tio­nen durch Mi­kro­or­ga­nis­men zu er­ken­nen wie auch Kon­ta­mi­na­tio­nen or­ga­ni­scher und an­or­ga­ni­scher Art so­wie Par­ti­kel­rück­stän­de.

Die Gratwanderung mit den Grenzwerten

Es gibt kei­ne de­fi­nier­ten Grenz­wer­te für Rück­stands­men­gen an Ver­packun­gen, Werk­zeu­gen oder Im­plan­ta­ten. Um Grenz­wer­te zu de­fi­nie­ren, müs­sen fol­gen­de Punk­te be­rück­sich­tigt wer­den:


  1. Wie lan­ge kommt ein Pro­dukt in Kon­takt mit dem Pa­ti­en­ten?
  2. Wie gross ist die Flä­che des Pro­dukts, die mit mensch­li­chem Ge­we­be in Kon­takt kommt?


Folg­lich ha­ben Im­plan­ta­te nied­ri­ge­re Grenz­wer­te als die Pro­duk­te, die kur­zen oder gar kei­nen di­rek­ten Kon­takt mit den Pa­ti­en­ten ha­ben.

Auf der Fo­lie sieht man Bei­spie­le, an de­nen man sich ori­en­tie­ren kann. Für die De­fi­ni­ti­on ei­ni­ger Grenz­wer­te exi­stie­ren Nor­men und Gui­de­li­nes, vie­le Grenz­wer­te müs­sen je­doch in­di­vi­du­ell de­fi­niert wer­den. Die Grenz­wer­te wer­den in der Re­gel in Zu­sam­men­ar­beit mit dem La­bor, To­xi­ko­lo­gen und dem In­ver­kehr­brin­ger bzw. dem Zu­lie­fe­rer er­ar­bei­tet.

Am An­fang des Pro­zes­ses sind im­mer mehr Ver­schmut­zun­gen bzw. Rück­stän­de vor­han­den. Je wei­ter der Pro­duk­ti­ons­pro­zess fort­ge­schrit­ten ist, je rei­ner wird das Pro­dukt mit dem Ziel, dass bis zur In­ver­kehr­brin­gung das Pro­dukt kom­plett rein ist. Das heisst, je wei­ter der Pro­duk­ti­ons­pro­zess fort­ge­schrit­ten ist, je hö­her wer­den die An­for­de­run­gen und je nied­ri­ger sind die Grenz­wer­te für Kon­ta­mi­na­tio­nen. Die Rück­stand- bzw. Ver­schmut­zungs­men­ge und das Ri­si­ko ge­fähr­li­cher Sub­stan­zen nimmt da­ge­gen im­mer wei­ter ab.

Ein Beispiel für eine Definition von Grenzwerten


Alarmwerte definieren

Ei­ne Alar­mie­rung, wenn der Grenz­wert be­reits über­schrit­ten ist, ist viel zu spät und kann teu­er wer­den: Das Un­ter­neh­men muss die Pro­duk­ti­on stop­pen und schau­en, wie der Grenz­wert wie­der un­ter­schrit­ten wer­den kann. Ein un­ter­halb des Grenz­wer­tes an­ge­setz­ter Alarm­wert hilft, ent­spre­chen­de Mass­nah­men zu er­grei­fen, da­mit die Pro­duk­ti­on nicht ins Stocken kommt. Mit ei­nem fort­lau­fen­den Mo­ni­to­ring und ei­nem de­fi­nier­ten Alarm­wert bei 40 bis 60% des Grenz­werts kann si­cher­ge­stellt wer­den, dass der Grenz­wert nicht über­schrit­ten wird.

Schritt für Schritt zum Sauberkeitskonzept

Zu­sam­men­ge­fasst wird ein Sau­ber­keits­kon­zept in den fol­gen­den vier Schrit­ten er­stellt:


  1. Pro­dukt­an­wen­dung ein­gren­zen und be­schrei­ben
  2. Ma­te­ri­al ana­ly­sie­ren
  3. Rei­ni­gungs- Pro­zess­schrit­te fest­hal­ten
  4. Vor­han­de­ne Da­ten prü­fen und hin­zu­zie­hen

Da es kei­ne fix fest­ge­leg­ten Grenz­wer­te gibt, geht es vor al­lem dar­um, bei Be­hör­den und Re­gu­la­to­ren nach­wei­sen zu kön­nen, dass man sich mit den Ri­si­ken be­züg­lich Sau­ber­keit aus­ein­an­der­setzt und fach­lich fun­dier­te Grenz­wer­te de­fi­niert hat. Dass dies do­ku­men­tiert und lau­fend über­wacht wird, ver­steht sich von selbst. Denn nur, wenn die pro­du­zier­ten Me­di­zin­pro­duk­te ei­ne sau­be­re Sa­che sind, die­nen sie dem Wohl des Pa­ti­en­ten und sind Ba­sis für den Er­folg des Un­ter­neh­mens.

Datenvisualisierung

Video QQ-Impuls

Wir ha­ben Dir den ge­sam­ten QQ-Im­puls auf­ge­zeich­net, so dass Du Dich auch im Nach­hin­ein über die­ses in­ter­es­san­te The­ma in­for­mie­ren kannst.


Die ak­tu­el­len QQ-Im­pul­se fin­dest Du hier.

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Text: An­ja Zell

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