Der revidierte Artikel 58a des Krankenversicherungsgesetzes beschäftigt derzeit das Gesundheitswesen: Per 1. April 2022 sind alle Leistungserbringer verpflichtet, Massnahmen zur Qualitätsentwicklung umzusetzen. Was das genau heisst, ist für viele Ärzte, Therapeutinnen und Institutionen nicht ganz klar. Die Verbände der Leistungserbringer sind gefragt, mit den Krankenversicherern Qualitätsverträge zu verhandeln. In so einer Situation ist es wichtig, Gestaltungsspielräume zu kennen und zu nutzen. Wer mitreden will, benötigt Basiswissen zum Qualitätsmanagement. Warum es sich lohnt, sich damit auseinanderzusetzen und wie man einen einfachen Einstieg in Qualitätsentwicklung finden kann, zeigt uns Susan Čonka anhand eines konkreten Beispiels ihrer Lebenserfahrung auf:
«Schon als Kind brannte ich darauf, einmal ein Stethoskop in den Händen zu halten. Genau wie meine Kinderärztin wollte ich das magische Gerät still und mit konzentriertem Blick über Herz und Lunge ansetzen, um dann wie ein grosser Zauberer die bedeutungsvollen Worte auszusprechen: «Es ist alles in Ordnung.» Dann begann ich mein Medizinstudium. Und zu Anfang stand nicht etwa das begehrte Stethoskop, sondern abstraktdehydrierte Dinge wie Biochemie. Nach drei Semestern und zwei erfolglosen Prüfungsversuchen stand für mich fest: Diese Disziplin ist nutzlos, maligne und dient allein der Schikane von Medizinstudenten, die es im Zuge der dazumal vorherrschenden «Ärzteschwemme» zu selektionieren galt. Meine Rettung in Richtung Stethoskop war dann Florian Horn mit seinem Lehrbuch «Biochemie des Menschen». Das Wissen war übersichtlich strukturiert, in verständliche Worte verpackt und mit einleuchtenden Bildern ergänzt.
Plötzlich wurde das ungeliebte Fach zum Spassfaktor. Nebeneffekt: Prüfung bestanden.
Heute arbeite ich nicht mehr als Ärztin, aber an die Biochemie denke ich trotzdem sehr häufig. Nämlich dann, wenn Qualitätsforderungen im Gesundheitswesen laut werden. Die Koinzidenzen zwischen Biochemie und Qualitätsmanagement sind unübersehbar: Die Sprache ist Fach-Chinesisch, der Nutzen scheint auf den ersten Blick eher fraglich, eine Malignität kann nicht restlos ausgeschlossen werden. Höchste Zeit also, dem vermeintlich Bedrohlichen die Maske abzunehmen.
Qualitätsmanagement bedeutet: Systematisch vorgehen.
Health Professionals tun es die ganze Zeit, ohne sich dessen bewusst zu sein: Sie arbeiten nach der Systematik des Qualitätsmanagements. Der Fachbegriff dafür ist PDCA – Plan, Do, Check, Act.»
Ansatz von William E. Deming
PDCA – Plan, Do, Check, Act
PLAN: Ist-Situation, Ziele und Checkzeitpunkt bestimmen
Ein Patient kommt in die Hausarztpraxis mit Symptomen einer arteriellen Hypertonie. Der Hausarzt hat einen Plan. Als erstes erhebt er die Anamnese. In Qualitätssprache: Kontext und Ist-Analyse. Er misst den Blutdruck, bestimmt Laborparameter. Das ist «ZDF» – Zahlen, Daten, Fakten. Er definiert den Blutdruck-Zielwert, der unter einer Therapie erreicht werden soll und überlegt, welche Therapieoptionen bestehen. Und dann entscheidet er sich mit dem Patienten für EINE Therapieoption und macht den nächsten Kontrolltermin ab.
DO: Die Umsetzung starten
Nun startet die Therapie. Falls so entschieden, wird der Patient nun mit der Medikamenteneinnahme beginnen und selbst regelmässig seine Blutdruckwerte dokumentieren.
CHECK: Kontrollieren zum definierten Zeitpunkt
Zum vereinbarten Termin werden Blutdruckwerte, Medikamentenverträglichkeit etc. überprüft. Sind die Ziel-Blutdruckwerte erreicht, folgt nun das ACT.
Ist das Ziel nicht erreicht, geht es zurück zum DO: Die Medikamentendosis wird angepasst, die Medikation wird vielleicht gewechselt oder augmentiert. Ein erneuter Kontrolltermin wird bestimmt.
ACT: Implementieren, wenn das Ziel erreicht ist
Sobald die Ziel-Blutdruckwerte stabil erreicht sind, wird die Medikationsdosis unverändert beibehalten. Eine Änderung wird erst vorgenommen, wenn das Ziel nicht mehr erreicht wird – dann beginnt der Kreislauf wieder von vorne mit PLAN.
Wer in fachlichen und organisatorischen Belangen nach diesem System vorgeht, egal ob in der Behandlung, beim Angebot neuer Produkte und Leistungen, bei der Suche nach Ersatz für den Fax-Kanal oder beim Eliminieren von Fehlern, ist zielgerichtet und proaktiv unterwegs und kann ganz nebenbei Qualität transparent aufzeigen. Das heisst aber auch: Nur messen reicht nicht. Wer Zufriedenheitsmessungen durchführt, erhebt damit Daten zum Punkt PLAN (Ausgangslage) oder zum Punkt CHECK, das ist aber noch keine Qualitätsarbeit. Die beginnt dann, wenn die Messung in eine Strategie eingebettet ist. Wenn also bekannt ist, wo Probleme in der Organisation liegen, wenn dazu entsprechende Ziele definiert werden und wenn die Messung als Grundlage dient, um Verbesserungsmassnahmen zu definieren und umzusetzen. Wenn man so systematisch vorgeht, haben alle etwas davon: Mitarbeitende, Patienten, Kundinnen oder Lieferanten.
Aber Achtung:
Auf diese Weise wurden schon einige mühsame
Probleme identifiziert und mit überraschen- den Lösungen behoben.
Es besteht die Gefahr, dass man dabei Fan von Qualitätsmanagement wird.